Mode
«Epilog» in Hamburg: Akris-Designer Kriemler für die Ballettbühne
2024-12-03
Albert Kriemler, der Kreativdirektor der St. Galler Modemarke Akris, hat die Kostüme für John Neumeiers letztes Ballet an der Hamburger Staatsoper entworfen. Ohne Vorbilder, aber mit viel Menschlichkeit. «Wegen Albert?», tönt es aus der langen Schlange vor der Damentoilette. «Wegen Albert!», bestätigt eine Frau enthusiastisch. Albert Kriemler ist hier, und er arbeitet seit 2005 mit dem amerikanischen Choreografen John Neumeier zusammen. Sechs von dessen Ballettstücken hat er mit seiner charakteristischen Zurückhaltung und in St. Galler Stoffe eingekleidet. «John ruft mich an, wenn er das Ballett in die heutige Zeit übertragen will.»
Autobiografisch und intim
«Epilog» ist autobiografisch angehaucht, aber kein chronologischer Nacherzählung seines Lebens. Statt eines einzelnen Handlungsstrangs besteht das Stück aus Vignetten, die ineinanderfließen. Die Tänzerinnen und Tänzer wirbeln von Szene zu Szene, sitzen am elterlichen Küchentisch, heben einander in die Höhe, vibrieren förmlich, schreiten in greigen Anzügen zu Simon & Garfunkels «The Sound of Silence» langsam über die Bühne, umschlingen sich, halten inne. Auch Schubert-Sonaten und die «Vier letzten Lieder» von Richard Strauss werden von zwei Pianisten und einer Sängerin interpretiert. «Intim» und «kammermusikalisch» sind die Worte, mit denen das Ballett im Programm beschrieben wird.Dialog führt zum Gesamtkunstwerk
Seit fast zwanzig Jahren arbeiten John Neumeier und Albert Kriemler zusammen. Ein Abend im April erzählt der Choreograf dem Designer den Ablauf des Stücks, und bald darauf wird zum ersten Mal getanzt. Dafür hat Kriemler Toiles und Kleider mitgebracht, an denen er ohnehin arbeitet oder die ihm passend erscheinen. Sobald sie in Bewegung sind, wird für Neumeier klar, was sich eignet und was nicht. Die Funktionalität, die Kriemler bei seiner Arbeit ständig umtreibt, wird beim Tanzen unerlässlich. Trotzdem sind es oft nur kleine Justierungen, die Laufstegkleider von Bühnenkleidern unterscheiden. Bei einer Chiffonhose muss eine Naht verändert werden; ein Faltenkleid bekommt zwei zusätzliche Schlitze verpasst.Dunkelrot zieht sich in Kleidern und Tops durch das gesamte Ballett
Dies ist gewissermassen Christian Lacroix zu verdanken. Schon sein Leben lang entwirft der Couturier für die Bühne. In «Epilog» wirkt es, als hätte Kriemler Farben mit einer Pipette aus den Gemälden Piero Della Francescas aufgesogen und gleichmässig über seine Stoffe geträufelt. Der Renaissancemaler erlebt eine Renaissance, mit einer kürzlich zu Ende gegangenen Ausstellung in der Londoner National Gallery und in Hamburg als Inspiration für John Neumeiers Bühnenbild. Kriemler ist sichtlich begeistert von Della Francesca und seinen Rottönen, bleichen Gesichtern, pastellblauen Himmeln und verschiedenen Schattierungen von Weiss.Sofortige Wirkung und Detail
Albert Kriemlers Bleistiftskizze für ein beiges Netzkleid zeigt die Feinheit seiner Arbeit. In der Tradition von Modedesignern fürs Ballett liegt er näher bei Gabrielle Chanel als bei Christian Lacroix. Chanel kleidete 1924 ihr Ballet «Le Train Bleu» in lose Tennis-Ensembles und kurze Badeanzüge. Aber auch sie hängte den Tänzerinnen schweren Modeschmuck an die Ohren und steckte sie in Ballettschlappen. Albert Kriemler lehnt die Idee ab, auf solche Vorbilder zu stützen. Das Ballett «Epilog» läuft noch bis zum 1. Februar 2025 an der Staatsoper Hamburg.